Was man sich bezüglich der Flora im Innenhof der Kalkbreite für Gedanken gemacht hat, weiss Markus Urbscheit. Er ist Biologe und Landschaftsarchitekt. Interview: Michèle Roten*
Für mich sieht das allesziemlich wild aus. Das war auch der Plan. Man hat hier ein starkes Naturerlebnis, aber das Ganze ist natürlich sehr aus-geklügelt. Es wurde viel überlegt, was Diversität angeht, und kein Busch oder Baum steht zufällig an diesem oder jenem Ort. Jetzt ist die Phase erreicht, wo die Pflanzen sich ein Stück weit selbstständig machen, wo sich eine gewisse Natür- lichkeit entwickelt.
Das heisst, jetzt kann man es einfach wachsen lassen?
Nein, das nicht. Aber es ist kein all-zu grosser Aufwand, es geht mehr um eine gewisse Expertise. Yvonne Christ, die unsere Anlage bewirtschaftet, ist eine sehr kompetente Botanikerin, die auch schon seit der Planungsphase mit dabei ist. Sie sieht beispielsweise sofort, wo Neophyten wach-sen und macht denen schnell den Garaus.
Und Neophyten sind … ?
Invasive Pflanzen, die eingeschleppt wurden und die einheimische Flora verdrängen würden.
Wie kommen die denn hier her? Über Samen, die mit dem Wind oder über Vögel einfliegen oder über die Schuhe von Hofbesuchern eingetragen werden, auch im Substrat sind immer Samen vorhanden. Die Pflege besteht also vor allem darin, zu schauen, dass die Neophyten nicht eindringen.
Vor allen Dingen, ja, und dass ge-wisse einheimische Pflanzen nicht überhand nehmen. Yvonne muss zum Beispiel regelmässig die Säm-linge der Sträucher jäten. Man spricht von extensiver Pflege, also das Gegenteil von intensiv – wie
es zum Beispiel bei einer üppigen Staudenbepflanzung der Fall wäre. Was hier sowieso nicht gehen würde, denn der Boden ist extrem mager, wir haben hier vor allem Kies und nur 10 Prozent Humus, sprich sehr wenig Nährstoffe.
Erfüllt eine Hofbepflanzung eigentlich vor allem einen ästhetischen Zweck?
Die Atmosphäre ist schon ein sehr wichtiger Grund, Menschen fühlen sich wohler und weniger beobachtet, wenn es Pflanzen hat. Ausserdem geht es um Beschattung und natürlich um die Lebens-räume von allerlei Tieren. Das Tolle am Aussenraum der Kalkbreite ist, dass fast ganzjährig irgendetwas blüht – es ist also eine hervorragende Weide für unsere Kalkbreite-Honigbienen auf dem Dach, aber auch für Wildbienen. Dazu kommt, dass auch über den Winter diese Pflanzenstrukturen stehen bleiben und so gewissen Insekten Überwinterungsorte bieten, in hohlen Stängeln zum Beispiel.
Hat die pflanzliche Vielfalt einen konkreten Zweck oder geht es nur um den schönen Gedanken? Die Natur ist vielfältig und hier wollte man eine möglichst natürliche und ökologisch sinnvolle Bepflanzung. In der Stadt gibt es immer weniger Orte, wo man eine gewisse Wildheit antrifft. Solche Orte, seien sie noch so klein, sind wichtige Inseln und Tritt-steine für Pflanzen und Tiere. Der Begriff Biodiversität wird zwar oft herumgereicht, aber wenn ich mich in neuen Siedlungen so umsehe, dann ist es mit der Umsetzung nicht besonders weit
her.
Es wird oft mit sehr wenigen verschiedenen Pflanzen und viel Rasen gearbeitet – natürlich gibt es Ausnahmen. Dass in der Kalkbreite ein gut funktionierendes Biotop geschaffen wurde, sieht man unter anderem an den vielen Vögeln und Insekten.
Gibt es hier eine Pflanze, die man sonst nirgends findet in der Stadt?
Der Speierling ist zum Beispiel ziemlich speziell. Ein Verwandter der Vogelbeere, früher hat man seine Früchte verwendet, um Trauben- oder Apfelmost zu klären. Wenn sie also jemand brauchen kann zum Keltern – einfach vorbeikommen.
* Das Interview wurde im Jahresbericht 2016 publiziert.
