06.02.2019Wohin mit der Kunst?

Am Freitagabend, dem 25.1.2019, diskutierte eine Gruppe von interessierten Bewohner*innen mit Künstler Christoph Faulhaber über seine aktuelle Arbeit «Revolution und Architektur». Diese Arbeit besteht aus rund 80 überdimensional grossen Kunststoffbällen, von denen einige in den letzten Tagen und Wochen im Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite ausgestellt wurden. Reto Gerber, Leiter Anlageberatung der Alternativen Bank Schweiz, gab ausserdem einen aufschlussreichen Einblick in die aktuelle Anlagesituation des Projektbudgets.

Mit seinem Projekt „Genossenschaften“, gewann Christoph Faulhaber 2010 den Kunst-und-Bau-Wettbewerb für den Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite. Zentrale Idee bei Faulhabers Projektvorschlag war es, das gesamte Preisgeld in Höhe von CHF 240’000 für die kommenden 24 Jahre anzulegen und dem Künstler den jährlichen Zinsertrag für sein Schaffen zur Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung stellt dieser ein Zwölftel seines jährlichen Schaffens der Genossenschaft zur Verfügung. Nach 24 Jahren, wenn die Siedlung längst gebaut, bezogen und belebt ist und die nächste Generation erwachsen geworden ist, steht das Geld, zweckgebunden für Kunst-und-Bau, wieder zur Verfügung. So die Idee.

Aktuelle Anlagesituation

In den ersten vier Jahren ging die Rechnung auf. Die Anlage brachte dem Künstler einen jährlichen Zinsertrag von rund 8000 CHF ein und entsprach dem monetären Beitrag der Genossenschaft an sein künstlerisches Schaffen. Im Gegenzug überliess er der Genossenschaft wie vereinbart einen Teil seiner jährlichen Kunstprojekte. 2018 aber büsste die Anlage Verluste von rund 10’000 CHF ein. Und der Künstler somit sein Honorar.

Reto Gerber, Leiter Anlageberatung der Alternativen Bank Schweiz, erläutert die Situation im Detail und gibt zu verstehen, dass der Verlust nicht so dramatisch sei, wie er scheint. Der Grossteil des Verlustes (knapp 9000 CHF) sei auf Kursschwankungen und einen starken Franken zurückzuführen und entspräche demnach einem «nicht-realisierten» Ergebnis. Für den Laien könnte man es wohl mit «nicht-wirklich-real» übersetzen, da keine effektiven Verlustgeschäfte für das Ergebnis verantwortlich sind. Dazu kommen Gebühren von rund 2000 CHF, welche die Anlage ebenfalls negativ belasten. Erfreulich sei hingegen die Neuigkeit, dass die «realisierten» Ergebnisse, welche auf eine effektiv getätigte An- oder Verkaufsbewegung zurückzuführen seien, einen Gewinn von annähernd 1000 CHF beziffern. Ausserdem äussert Reto Gerber den Verdacht, dass es sich insgesamt um eine sogenannte «Übertreibung» handle. Ein finanzwirtschaftliches Phänomen also, von dem in der Realwirtschaft wenig oder kaum etwas zu spüren ist und für das keine dramatischen Gründe gefunden werden können. Er mutmasst eine schnelle Erholung der Situation; bereits im Januar 2019 sei ein Gewinn von 2% zu verzeichnen, wodurch die Hälfte des Verlustes bereits wieder wettgemacht sei.

Kunst und Gewinnstreben

Entgegen allen Erwartungen, jonglierte Reto Gerber seine Zahlen sehr kurzweilig und das allgemeine Interesse an dieser künstlerischen Geldanlage war nicht weniger gross als der allgemeine Lerneffekt. Trotzdem begannen sich im Publikum allmählich Fragen zu formulieren: Wo bleibt bei all der Ökonomie der Künstler mit seinem Werk? In welchem Verhältnis steht der Künstler zu dieser Welt des Gewinnstrebens? Einige Anwesende äusserten sich kritisch diesen Fragen gegenüber. Aber Christoph Faulhaber ging mit jeglicher Kritik gelassen um. Geld sei eines der ausschlaggebendsten Themenbereiche unserer Zivilisation. Tatsächlich sei es seine Intention gewesen zu erfahren, was passiert, wenn künstlerisches Schaffen an eine derart weitgreifende monetäre Anlage gekoppelt werde. «Was passiert zwischen den Menschen, wenn es um Geld geht?», habe er sich gefragt. Als er das Konzept vor acht Jahren entworfen habe, hätte er nicht damit gerechnet, dass die monetären Aspekte dieses Projekts tatsächlich so wichtig werden würden. Aber tatsächlich provoziere die Situation eine Diskussion um die künstlerische Legitimation der Geldanlage. Und es stelle sich die Frage, welchen künstlerischen Leistungsanspruch die Genossenschaft noch haben könne, wenn das Honorar des Künstlers aufgrund negativer Zinserträge ausbleibt. In einer Gesamtbilanz des Kunst und Bau-Projekts mit der Genossenschaft Kalkbreite erläutert Christoph Faulhaber die aktuellen «Vermögenssituation». Während sich die jährlichen künstlerischen Dividenden und somit der Gesamtwert der Kunstobjekte, die Faulhaber der Genossenschaft in den letzten Jahren übergab, zu rund 247’897 CHF Kunstwert kumulierten, erhielt der Künstler in den ersten vier Jahre einen Zinsertrag von rund 8000 CHF. 2018 sank dieser Ertrag auf Null, während ihm die Spesen des Projekts (Zugreise, Versandkosten etc.) einen Verlust einbrächten. Der Künstler bezahlt bei diesem Projekt derzeit also drauf. Zumindest im letzten Jahr.

Wohin mit der Kunst?

Als diesjährige künstlerische Dividende überlässt Faulhaber der Genossenschaft sechs überdimensional grosse Plastikbälle. Es ist ein Zwölftel seiner Ausstellung «Revolution und Architektur», eine Installation aus achtzig bunten Bällen mit je drei Meter Durchmesser, mit der er das ehemalige Kirchenschiff der Kunsthalle Osnabrück in eine Hüpfburg verwandelte. Die Bälle sind Ausdruck unserer Spass- und Spektakelgesellschaft, liest sich im Katalog. Sie sind «Made in China», hergestellt aus PVC und symbolisieren uns über den Kopf gewachsene Spielzeuge.

«Wir geben ihm keine Zinsen und er revanchiert sich mit einem Haufen Müll», witzelt eine anwesende Bewohnerin. Was also soll im Weiteren mit dieser Kunst geschehen? Alle bisherigen Arbeiten von Faulhaber liegen sicher in einem Bankfach der ZKB. Aber wohin mit sechs Kunststoffbällen von je 18 kg Gewicht, die aus feuerpolizeilichen und Sicherheitsgründen auf dem Genossenschaftsareal nicht längerfristig installiert werden können? Im Keller lagern? An Demonstrationen mitnehmen? Als Sondermüll entsorgen? Es wird lange diskutiert. Über die philosophisch-künstlerische Beziehung, die die sechs Bälle zu den übrigen 74 Bällen haben – sind sie Teil von etwas Grösserem oder in sich eine eigenständige Kunstinstallation? Über die fragwürdigen Arbeitsbedingungen in Guangzhou, wo die Bälle hergestellt wurden. Über den Umweltsünder PVC. Über die Verantwortung der Genossenschaft. Über die Verantwortung des Künstlers im Dienste der Genossenschaft. Über Urheberrechte und Sorgfaltspflicht.

Bis die Luft draussen war. Aus dem Raum und aus dem gelben Kunststoffball, der mittlerweile flach wie ein Spiegelei den Innenhof ziert. Diese Frage abschliessend zu beantworten, überfordert die Gruppe der Kunstinteressierten. Ausserdem sehen sie sich nicht befugt im Namen aller Bewohner*innen und Genossenschafter*innen über den Verbleib dieses Kunstwerks zu entscheiden. Es soll eine Arbeitsgruppe einberufen werden an der nächsten Gemeinrat-Sitzung, welche sich dieser Aufgabe annimmt. Ausserdem sollen alle Bewohner*innen und Genossenschafter*innen die Möglichkeit bekommen, ihre Ideen und Meinungen miteinzubringen.

Text: Aline Diggelmann