12.11.2019Revolution der Beilagen

Die beiden Zürcher Lorenz Pfrunder und Adrian Hoenicke machen erntefrisches Gemüse ganzjährig haltbar. Ihre Produkte sind nicht nur fair, bio, regio und gesund – sie sind vor allem fein und lassen sich vielfältig einsetzen!

Einkaufsliste für ein Racelette:

  • Raclettekäse
  • Kartoffeln (hartkochend)
  • Silberzwiebeln
  • kleine Maiskölbchen
  • Essiggurken

Sonst noch was? – Ja, bitteschön!!

  • Randen mit Honig
  • Sauerkraut mit Rüebli (oder Kreuzkümmel)
  • Rosenkohl
  • Radiesli

Tatsächlich haben sich Lorenz Pfrunder und Adrian Hoenicke beim Raclette-Essen mit Freunden kennengelernt. Während der eine mit Quitten in süss-saurem Essig aufwartete, brachte der andere selber angebaute und eingelegte Zucchini aus seinem einjährigen Italienaufenthalt mit. Die gemeinsame Leidenschaft war augenscheinlich und die Geschäftsidee lag auf dem Teller: Mit selber eingemachtem und fermentiertem Gemüse die Beilagen-Welt zu revolutionieren!

Das war im Januar 2019. Nur wenige Monate später stehen ihre Produkte unter dem Label «Suur» bereits in den Regalen ausgewählter Händler in Zürich, Langenthal und Solothurn – nicht zuletzt im Bachsermärt an der Kalkbreite.

Vom Setzling zum Einmachglas

Lorenz Pfrunder und Adrian Hoenicke sind Macher. Einmacher. In der Küche des Grosshaushalts Kalkbreite, wo Lorenz Pfrunder auch wohnt, begannen sie kurzerhand zu experimentieren, kombinieren und fermentieren. Lorenz Pfrunder arbeitet im Gemüsebau auf dem Biohof «Grumolo Verde». Von dort und vom Pflanzplatz Dunkelhözli, mit deren Gründer sie befreundet sind, bekamen sie grössere Mengen handelsuntaugliches Gemüse geschenkt, das sie unbedingt alles verwerten wollten und verabredeten sich dafür eines Abends um 21 Uhr in der Küche, die sie erst am nächsten Morgen um 6 Uhr früh wieder verliessen. «Es war mega aufwändig», erinnert sich Lorenz Pfrunder, «aber es war ein Fest!»

In den nächsten Wochen und Monaten dampften sie diverse Küchen voll – WG-Küchen, Büroküchen, private Küchen und Atelierküchen von Freunden. Sie machten Testserien mit unterschiedlichen Ingredienzen. Sie probierten verschiedene Gemüse aus, erhielten Feedbacks und entwickelten ihre eigenen Rezepturen. Die Fässer mit dem Eingemachten lagerten sie anfangs vor Lorenz Wohnungstür im Treppenhaus der  Kalkbreite. «Manchmal hat das ganze Treppenhaus nach Gärgasen gestunken besonders nach Kimchi, das stinkt am meisten!» erzählt Adrian Hoenicke. Sie verfrachteten die Fässer in den Keller seines Büros, wo sie genauso stinkten, aber weniger störten. Wenig später, im April 2019, fanden sie eine Gastroküche in Schwamendingen, wo sie sich seither tageweise einmieten. Parallel entwickelten sie einen Businessplan, erstellten ein Hygienekonzept (HACCP) zur Nachverfolgung und Qualitätskontrolle und gründeten die GmbH «Suur». Eine professionelle Herangehensweise ist den beiden wichtig, trotzdem wollen sie unbedingt weiter selber in der Küche stehen und das Fermentieren und Einmachen selber machen. Nur stundenweise engagieren sie Helfer zum Schnippeln des Gemüses. «Suur» ist wortwörtlich ein Best-Practice-Beispiel für Produkte mit lokalem Kreislauf: das Gemüse – darunter auch handelsuntaugliche Exemplare –  wird von Lorenz auf dem Biobauernhof selber angebaut, in Schwamendingen eigenhändig verarbeitet und in nahegelegenen Läden verkauft. Adrian und Lorenz begleiten ihre Schützlinge – äh, Setzlinge – also vom Garten bis ins Einmachglas.

Milchsäurebakterien und der Fermentierungsprozess

Fragt man die beiden, wo sie das Fermentieren und Einmachen gelernt haben, reagieren sie ganz erstaunt: «Was gibt es denn da zu lernen?» Das sei doch supereinfach. Beide üben sich schon seit einigen Jahren darin. «Ausserdem machen bei der Fermentation die Milchsäurebakterien die ganze Arbeit!» Lorenz und Adrian arbeiten nach dem sogenannten Wild-Fermentierungsverfahren. Ihren Produkten werden keine Bakterien beigefügt, denn Milchsäurebakterien sind überall auf dem Gemüse und in der Umwelt natürlicherweise bereits vorhanden. Man müsse bloss ein optimales Klima schaffen, um die gewollten Bakterien zu fördern und somit den Fermentierungsprozess zu begünstigen.

Dafür muss dem Gemüse zwei Prozent Salz beigefügt werden, um den richtigen PH-Wert und somit das richtige Startklima für Milchsäurebakterien zu erreichen. Zuvor wird das Gemüse gestampft, was die Zellstruktur des Gemüses aufbricht. Dann muss das ganz anaerob, also unter Ausschluss von Sauerstoff, gelagert werden, wodurch die Milchsäuregärung ihren Lauf nimmt. Anders ist es beim Einlegen – hierfür wird Gemüse blanchiert und mit heissem Essigsud begossen.

Das ganze Wissen ums Einlegen und Fermentieren sei mit der Erfindung des Kühlschranks verloren gegangen, meint Lorenz Pfrunder. Nicht nur, konnte Gemüse fortan problemlos über längere Zeit gelagert werden. Das Gemüse wird heute auch ganzjährig angebaut und um die halbe Welt geflogen. Erdbeeren, Tomaten und anderes saisonales Gemüse kann ganzjährig im Supermarkt bezogen werden. «Viele Leute reagieren deshalb nostalgisch auf unsere Produkte», erzählt Adrian, «der Geruch und Geschmack erinnert sie an ihre Grossmütter.» Auch beim Sammeln von Wildkräuter erlebe er immer wieder, wie positiv und interessiert die Leute reagieren. «Ich glaube, es gibt wirklich eine Marktlücke für das, was wir hier machen», ist Adrian überzeugt. Trotzdem sehen sich die beiden Männer auch vor Herausforderungen gestellt: So sei es nicht ganz einfach, eine konstante Qualität in grösseren Mengen zu gewährleisten; schliesslich habe auch das Gemüse nicht immer dieselbe Qualität. «Und gewisse Dinge kommen bei den Leuten auch einfach nicht gut an», sagt Lorenz. Zum Beispiel fermentierter Krautstiel, das sei zwar sehr lecker, sehe aber im Einmachglas nicht gut aus: «So eine grüne, glibrige Masse will keiner essen. Die Leute essen, was sie kennen.» Und das seien eben häufig industrielle Fertigprodukte. «Das Problem mit diesen Produkten ist, dass sie meistens pasteurisiert sind. Dadurch geht jeglicher gesundheitliche Nutzen verloren, die Milchsäurebakterien werden vernichtet und das Vitamin C wird abgebaut». Dabei seien Milchsäurebakterien eben auch sehr wichtig für unsere Darmflora, eine gesunde Verdauung und somit für unser ganzes Immunsystem. 

Weihnachtsmarkt und Lieblingsrezepte

Die Produkte von «Suur» sind aber nicht nur fair, bio, regio und gesund – sie sind vor allem fein und lassen sich vielfältig einsetzen! Ob im Sandwich, zum Raclette, im Burger oder als Salatbouquet – auf ihrer Webseite (www.suur.ch) findet man inspirierende Rezeptideen. Und ihre persönlichen Lieblingsrezepte? «Rotes Sauerkraut mit Kreuzkümmel in einem Käsesandwich», sagt Lorenz. Von Randen mit Honig in einem Lauchburger, schwärmt Adrian.

In der Adventszeit sind die beiden am Münsterhof anzutreffen. Dort haben sie mit einem Kollektiv von Gleichgesinnten einen Weihnachtsmarktstand gemietet und bieten ihre Produkte mit einer lokal produzierten Fonduekäsemischung im Kombi-Angebot an. Also nichts wie hin – denn entgegen allen Erwartungen sind die beiden kein bisschen «suur», sondern richtig sympathisch!

Text: Aline Diggelmann