15.06.2019Geschichten aus dem Haus – Königin der Kalkbreite

Hoch über der Kalkbreite thront eine Königin. Mit rund 30’000 Mitbewohner*innen teilt sie sich ihre Gemächer und bildet somit die grösste Wohngemeinschaft der Kalkbreite. Hier oben herrscht keine demokratische Ordnung. Es ist ein Matriarchat in reinster Form, dessen Eingänge von Kontrollposten beschützt werden. Alle paar Jahre wird eine Revolution angezettelt und die alte Königin wird von ihrem Thron verjagt. Mit ihrem engsten Gefolge verlässt sie ihr Heim und sucht sich eine neue Bleibe…

Etwa so stellt man sich das Leben der Honigbienen im 7. OG auf den Dächern der Kalkbreite vor. Dort hält der Kalkbreite-Bewohner Beat von Felten seine Bienenvölker. Der Name des Kalkbreite-Dachs «Bei den Bienen» inspirierte ihn bei Bezug der Siedlung im Jahr 2014 dazu, eine Imker-Ausbildung zu machen und sich zum Bio-Demeter-Imker weiterzubilden. Heute hält er als Verantwortlicher der AG Honigbienen zwei Bienenvölker auf dem Dach der Kalkbreite und hat zusätzlich ein grösseres Bienenhaus in Landikon (ZH). Dabei fasziniert ihn das soziale Leben der Bienen ganz besonders. Hier sei der natürliche Kreislauf des Lebens auf kleinstem Raum zu beobachten und er fühle sich der Natur sehr verbunden.

Rund 60’000 Bienen wohnen in den Sommermonaten auf der Kalkbreite. Diese haben eine durchschnittliche Lebensdauer von acht Wochen. Nur die Königin lebt rund vier oder fünf Jahre, wobei sie im Laufe ihres Älterwerdens von einer jüngeren Königin verdrängt wird und sich gezwungen sieht, mit ihrem Schwarm eine neue Bleibe zu suchen. Dies passiert üblicherweise in den Frühlingsmonaten, wie wir in den letzten Wochen beobachten konnten: Dieses Frühjahr haben gleich zwei Schwärme Reissaus genommen und wollten sich in unmittelbarer Nähe der Kalkbreite niederlassen. Zum einen in den Kirschblütenbäumen beim Rosengarten. Zum anderen auf einer Vespa an der Kalkbreitestrasse! Behutsam hat Bienenvater von Felten seine Schützlinge mit einer Bienenbox eingesammelt, um sie in ihr neues Zuhause im «Mehrfamilienhaus» Landikon umzusiedeln.

 

Honig und Blutsauger

Die beiden Bienenvölker in der Kalkbreite produzieren je rund 150 kg Honig pro Saison. 20 kg davon werden «geerntet», geschleudert, in Honiggläser abgefüllt und den Bewohner*innen und Anwohner*innen zum Verkauf angeboten. Im Gegenzug erhalten die Bienen Zuckersirup, damit ihre Vorräte keine Einbussen verzeichnen. Der Honig wird von den Bienen aus Blütennektar hergestellt und dient den ausgewachsenen Bienen als Nahrungsmittel. Die Jungtiere hingegen werden mit eiweisshaltigen Pollen ernährt. Von Felten nahm eine Pollenprobe der Waben in der Kalkbreite und liess davon eine Analyse herstellen – die Ergebnisse zeigen, wie vielfältig das Blütenvorkommen im Quartier um die Kalkbreite ist! Die bevorzugten Blüten der Kalkbreite-Bienen seien Baumblüten von Ahorn, Kastanien und Weiden.

Der gesammelte Nektar und die Pollen werden von den Bienen in die dafür vorgesehenen Brut- und Honigwaben gefüllt. Die Honig-und Brutzellen werden mit Wachs aus den Beindrüsen versiegelt, um den Honig und die Jungtiere vor Schmutz und Fremdeinwirkung zu schützen. Der derzeit grösste Feind der Bienen, die Varoamilbe, sitze aber genau dort – in den Waben. Sie legt ihre Kuckuckseier zusammen mit den Bieneneiern in die Waben, wo diese in aller Ungestörtheit schlüpfen. Für die Bienen-Jungtiere hat die Anwesenheit der Varoamilbe starke körperliche Deformationen oder den Tod zur Folge. Imkervater von Felten schützt seine Völker mit einer Behandlung aus Ameisen- und Oxalsäure erfolgreich von den Blutsaugern. «Die Varoamilbe ist aber auch hier anwesend.» Sie lasse sich nicht fernhalten, aber mit der richtigen Behandlung könne man sie in Schranken halten.

Text: Aline Diggelmann