05.07.2019Den Elefanten zum Fliegen bringen

Gedanken zum internationalen Genossenschaftstag vom 6. Juli 2019

Von Ruth Gurny, Präsidentin der Genossenschaft Kalkbreite

Wir sind mit Recht stolz auf die direkte Demokratie der Schweiz. In kaum einem anderen Land finden wir eine so weitgehende Verankerung der politischen Mitbestimmungsrechte. Klar: Auch bei uns ist in Sachen politischer Demokratie nicht alles Gold was glänzt. So fehlen beispielsweise noch immer Transparenzregeln in Bezug auf die Finanzierung der Parteien und noch immer können Menschen ohne Schweizer Pass, auch wenn sie schon Jahre hier leben und Steuern zahlen, nicht im politischen Prozess mitbestimmen.

Ungleich viel grösser ist aber das Demokratiedefizit im Bereich der Wirtschaft. Vor den Toren fast aller Unternehmen macht die Demokratie buchstäblich Halt. Dieses Defizit ist für viele Menschen immer existentieller spürbar. Die Schaffung, Verlagerung oder Vernichtung von Arbeitsplätzen passiert irgendwo, kaum nachvollziehbar für die Belegschaften. Entscheide des Managements erfolgen irgendwie, weit weg, intransparent. Die Lohnexzesse sind ein Teil davon. Das alles erfolgt getreu dem Dogma, dass „die Wirtschaft“ sich ungehindert von politischen Rahmenbedingungen, geschweige denn von demokratischer Mitbestimmung, am besten entfalten könne.

Genossenschaften stellen das Gegenprogramm gegen dieses neoliberale Dogma dar. Die Schweiz verfügt dazu über eine lange Tradition mit ihren Allmenden, vor allem aber mit den vielen Konsum- und Baugenossenschaften. Genossenschaften basieren auf Werten der Demokratie, Gleichheit und Solidarität. Genossenschaften sind genuin demokratisch verfasst: In der Generalversammlung, dem obersten Gremium jeder Genossenschaft, hat jedes Mitglied unabhängig von der Höhe der finanziellen Beteiligung eine Stimme und damit das gleiche Gewicht bei Entscheidungen. Nicht die Kapitalverwertung, nicht die Gewinne der Shareholder stehen im Zentrum, sondern die auf das Gemeinwohl ausgerichteten Ziele. Ganz wichtig auch: Die Genossenschaftsanteile können nicht auf dem so genannten freien Markt gehandelt werden und damit fliesst die Kontrolle nicht an einen anonymen Ort ab.

Genossenschaften eignen sich also glänzend als so genannte Übergangsprojekte: Mit dieser gemeinnutzorientierten Form des Wirtschaftens können wir zeigen, wie Solidarität und Demokratie Hand in Hand gehen mit solidem Geschäften. Naomi Klein formulierte das so schön: „Das Wechselspiel zwischen hochfliegenden Träumen und realen Siegen ist immer die entscheidende Voraussetzung für einen tiefgreifenden Wandel“. Jede Genossenschaft ist in diesem Sinn ein realer Sieg über die zerstörerischen Effekte der entfesselten Marktwirtschaft.

Ein Hoch also am internationalen Genossenschaftstag auf die Genossenschaften  –  so können wir die Idee der demokratisierten Wirtschaft zum Fliegen bringen!